
Der venezolanische Kaffee
Hast Du schon einmal etwas von venezolanischem Kaffee gehört? Nein? Und das ist eigentlich auch kein Wunder, denn seit der Jahrtausendwende ist venezolanischer Kaffee mehr oder weniger von den internationalen Märkten, insbesondere aus Europa verschwunden. In Nordamerika kannst Du ihn mit etwas Glück noch finden. Doch das war nicht immer so. Kaffee war einst die wichtigste Einnahmequelle der venezolanischen Exportwirtschaft. Außerdem zählt er aufgrund der hochgelegene Anbauregionen in Verbindung mit günstigen Wetterbedingungen zu den Besten der Welt. Und trotzdem ist er auf dem Spezialitätenmarkt außerhalb des Landes weitgehend unbekannt und selbst die Venezolaner bekommen ihre Lieblingsbohnen nur selten zu Gesicht. Woran liegt das? Gibt es für die guten Bohnen aus Venezuela noch eine Zukunft? Du erfährst es hier.
Die Geschichte der Kaffeeindustrie Venezuelas
Die Geschichte des Kaffees in Venezuela ist eng mit der Kolonisierung der Karibik durch die Entdecker aus der "alten" Welt verbunden. Als der Kaffee in Europa immer beliebter wurde, suchte man um 1700 in den Koloniegebieten nach geeigneten Anbauregionen für den Aufbau rentabler Kaffeeplantagen. Die Wahl fiel auf die Karibikinseln, aber auch auf Surinam und gegen 1732 auch auf Venezuela. Mehreren übereinstimmenden Quellen zufolge soll es ein spanischer Missionar namens José Gumilla gewesen sein, dem die Einführung des Kaffees in die Region des Orinoco-Flussdeltas im Osten Venezuelas zu verdanken ist. Doch war die Kaffeepflanze hier nicht sofort auf dem Siegeszug. Tabak und Kakao dominierten die von Sklaven bewirtschafteten Anbauflächen noch weitere 60 Jahre.
Erst Ende des 18. Jahrhunderts stieg der Kaffee zur wichtigsten Plantagenkultur auf, weil gleichzeitig auch die Kakaoproduktion aufgrund von Vernachlässigung und Zerstörung durch die Unabhängigkeitskriege sank. Selbst nachdem das Land 1823 seine Unabhängigkeitskriege gegen das koloniale Mutterland Spanien gewonnen hatte und die Sklaverei auf dem Rückzug war, wuchs die Kaffeeindustrie weiter. Immer mehr Menschen zogen nach Venezuela, in der Hoffnung, ihr Glück durch die hohe Nachfrage nach Kaffee machen zu können. In den 1830er Jahren avancierte Venezuela zum drittgrößten Kaffeeexporteur der Welt. Dieser Trend setzte sich für viele Jahrzehnte fort, weil die Preise in den europäischen und nordamerikanischen Ländern stiegen und Venezuela mit ihnen Freihandelsabkommen abschloss.
In den letzten 120 Jahren erlebte die Kaffeewirtschaft Venezuelas einige Höhen und Tiefen, vor allem weil Europa während des Ersten und Zweiten Weltkrieges als Hauptabsatzmarkt für Agrarprodukte ausfiel. Um 1920 führte die Entdeckung und die beginnende Förderung von Erdöl zu einer raschen Umstellung der Wirtschaft, die bis dahin hauptsächlich auf der Landwirtschaft basierte. 60 Jahre lang, bis zu den frühen 1980er Jahren, wuchs die venezolanische Wirtschaft durch die stets hohen Ölpreise zu einer der stärksten in Südamerika. Der Blick für nachhaltige und hochwertige Agrarprodukte ging verloren und damit schrumpfte auch die Bedeutung der Kaffeeproduktion. Die Abhängigkeit vom Öl rächte sich mit den fallenden Preisen in den 1980er Jahren. Gepaart mit einem zersplitterten politischen System verzeichnete die Wirtschaft zur Mitte der 1990er Jahre eine Inflation von 60 - 100%.
Seit dem Jahr 2003 reguliert die venezolanische Regierung den Kaffeeanbau und schränkt beispielsweise durch die Festsetzung von Höchstpreisen die ohnehin inzwischen sehr schwache Kaffeeproduktion im Lande weiter ein. Kein Wunder, lagen doch die Produktionskosten für einen Doppelzentner Spitzenkaffee zu jener Zeit bei zirka 330 US-Dollar, während der Verkaufspreis von der Regierung bei nur 170 US-Dollar gedeckelt wurde. Infolgedessen wurden Importe aus Brasilien und Nicaragua unumgänglich, um die wachsende Inlandsnachfrage zu decken. Diese jahrzehntelange Misswirtschaft führte dazu, dass Venezuela seine Position als einer der größten Kaffeeexporteure der Welt verlor. Die Kaffeeproduktion des Landes macht aktuell weniger als 0,5 % der Weltproduktion aus.
Wachstum und Verarbeitung
Die Landschaft, der Boden und das Klima in Venezuela sind für die Kaffeeproduktion optimal, obgleich das ganze Land gegenüber Überschwemmungen sehr anfällig ist. In der westlichen Andenregion wird überwiegend Arabica Kaffee kultiviert, an der Küste findet man zusätzliche Anbauflächen auf denen Robusta gedeiht.
Das im Feuchtwald der Andenregion angewandte Kaffeeanbausystem, basiert auf einem drei- bis vierschichtigem Kronendach, in dem mehrere Pflanzenarten vorkommen. In diesem System spenden die Bäume den für das Wachstum des Kaffees erforderlichen Schatten und reichern den Boden mit Nährstoffen an. Die Plantagen befinden sich überwiegend an der kolumbianischen Grenze in einer Höhe von 300 bis 1.500 Metern über dem Meeresspiegel. Sie werden zumeist von Kleinbauern bewirtschaftet. Bessere Qualitäten werden ab einer Höhe von 1.800 Metern verzeichnet, doch sind diese Höhenlagen durch ein langsameres Wachstum und eine geringere Produktivität gekennzeichnet. Gebiete mit Lagen unter 600 Metern erwirtschaften ebenfalls geringere Erträge. Dies gleichen die Kleinbauern durch eine Diversifizierung der Anbauprodukte aus. So stehen neben Kaffeepflanzen auch Mais, Kakao, Reis, Tabak, Zuckerrohr oder Sonnenblumen.
Erntezeit ist Oktober bis Dezember und März bis Mai, wobei die Herbsternte ertragreicher ist. Traditionell werden die venezolanischen Arabicas nass verarbeitet, was den geschmacklichen Basics der Bohnen entgegenkommt. Es entsteht ein sauberes, helles und fruchtiges Produkt. Durch den Zusammenbruch der Kaffeeindustrie und dem zaghaften Neubeginn entledigen sich die Bauern aber zunehmend auch ihrer alten Gewohnheiten. Das ist auch notwendig, um auf dem kreativen Weltmarkt für Kaffee wieder Fuß zu fassen. Also beginnen viele Produzenten mit dem Honey Process zu experimentieren, der die Aromen in der Tasse verbessern und interessanter gestalten soll. Aber man geht noch weiter und arbeitet mit Nachernteverfahren wie der anaeroben Fermentation (ein mikrobielles Verfahren ohne molekularen Sauerstoff), der Kohlensäuremazeration sowie der Beimpfung mit Hefen. Unabhängig von der Sorte und Marke ist der höchste Grad des venezolanischen Kaffees der "Lavado Fino", was so viel bedeutet wie "fein, gewaschen".

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Anbaugebiete
In Venezuela gibt es viele Gebiete, die sich für den Kaffeeanbau eignen. Maracaibo, eine Region um den Lago de Maracaibo ist die mit Abstand Bekannteste. Das Gebiet und der dort produzierte Kaffee sind nach dem Hafen von Maracaibo benannt, von dem aus einst der Kaffee verschifft wurde. Durch die Nähe zu den Anden ist die Höhenlage ideal für den Kaffeeanbau. Maracaibo-Kaffee besteht überwiegend aus Arabica-Sorten.
Auch in den Bundesstaaten Tàchira, Mèrida, Trujillo, Sucre, Monagas, Lara, Aragua, Portuguesa, Anzoàtegui und Yaracui wird oder wurde Kaffee angebaut.
Geschmackseigenschaften
Venezolanischer Kaffee zeichnet sich durch eine tiefe Süße, helle Aromen und einem ausgewogenen und geringen Säuregehalt aus. Somit wirkt er etwas leichter und lieblicher als andere lateinamerikanische Kaffees.
Der Beste venezolanische Kaffees soll aus der westlichen Region stammen, die an Kolumbien grenzt. Dieser wird auch "Maracaibos" genannt, weil er über den Hafen von Maracaibo verschifft wird - sofern überhaupt etwas in den Export geht. Der "Maracaibos"-Kaffee hat Untersorten namens Cucuta, Mérida, Trujillo und Tachira, die nach den Regionen, aus denen sie stammen, benannt sind. Mérida weist einen mittleren bis vollen Körper auf und hat einen zurückhaltenden aber süßen und angenehmen Geschmack. Táchira und Cúcuta ähneln den kolumbianischen Weinen, mit mehr Säure, mittlerem Körper und zarten Noten nach roten Beeren und tropischen Früchten.
Kaffees aus den weiter östlich gelegenen Küstengebirgen werden im Allgemeinen mit Caracas bezeichnet. Sie sind etwas weniger komplex, aber ein idealer Aufguss für „zwischendurch“. Die sogenannten Caripe-Kaffees stammen aus einem kleinen Gebirgszug im Norden des Landes, nahe der Karibik. Aufgrund des hervorragenden Klimas in diesem Gebiet sind die Kaffees von hier schön ausgewogen und weich und eignen sich gut für die Zubereitung von espressoähnlichen Getränken.

Röstprofile und Zubereitungsmethoden
Aufgrund der Einflüsse italienischer Einwanderer während des Zweiten Weltkriegs ist die venezolanische Kaffeekultur stark von den Italienern beeinflusst. Üblicherweise wird hier (sowohl in privaten Kreisen als auch in Restaurants) der sehr dunkle Italian Roast bevorzugt. Handfilter und Chemex
In Venezuela ist die beliebteste Zubereitungsart allgegenwärtig. Der „Café Guayoyo“ hat sich im ganzen Land etabliert - traditionell zubereitet als Pour Over, der durch Kaffeepulver in einer Stoffsocke sickert. Hinzu kommt Zucker und Milch. Aeropress, Siebträger und Vollautomat
Solltest Du das seltene Glück haben, einen echten venezolanischen Kaffee probieren zu können, ist auch die Zubereitung über einen Siebträger, die Aeropress oder den Vollautomaten eine Option.
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